Bürgerbegehrens-Bericht Thüringen 1993-2021

Seit Reform Bürgerbegehren verdoppelt, unzulässige Begehren halbiert Beteiligung an Bürgerentscheiden deutlich über Wahlbeteiligung

Der Bürgerbegehrens-Bericht für Thüringen verzeichnet zwischen 1993 und 2021 insgesamt 222 direktdemokratische Verfahren auf kommunaler Ebene. 63 davon sind in einen Bürgerentscheid gemündet. Die durchschnittliche Zahl der jährlich gestarteten Bürgerbegehren hat sich seit den beiden Reformen von 2009 und 2016 von fünf auf elf verdoppelt. Zugleich konnte die Zahl der unzulässig erklärten Bürgerbegehren halbiert werden. Wurden bis 2008 fast 46 Prozent der beantragten Bürgerbegehren nicht zugelassen, sind es heute nur noch 24 Prozent, fünf Punkte unter dem bundesweiten Durchschnitt.

Die 2009 mit einem Volksbegehren durchgesetzte Reform der kommunalen direkten Demokratie und das 2016 vom Landtag verabschiedete detaillierte Regelwerk haben die direkte Demokratie von hohen Hürden befreit: ein Erfolg des Engagements vieler Bürgerinnen und Bürger. „Bürgerbegehren sind heute ein verlässliches Instrument, mit dem sich Bürgerinnen und Bürger von Verwaltung und Politik unabhängig machen, kommunalpolitische Akzente setzen oder Politik korrigieren können“, so Ralf-Uwe Beck, Sprecher von Mehr Demokratie in Thüringen. „Das spornt die Politik an, drängende Probleme anzugehen sowie Kritik und Ideen aus der Bevölkerung ernst zu nehmen“, so Beck.

Drei Viertel der gestarteten Bürgerbegehren zielen darauf, einen Gemeinderatsbeschluss zu korrigieren. Ungefähr die Hälfte von diesen so genannten Korrekturbegehren (47,8 %) ist auch erfolgreich.

Bemerkenswert ist die durchschnittliche Beteiligung von gut 59 Prozent. Diese liegt damit deutlich über der Beteiligung an den Kommunalwahlen, die in den Jahren 2020 und 2021 bei lediglich 48 Prozent lag.

Das Thüringer Regelwerk ist laut einem wissenschaftlichen Ranking das modernste unter den Bundesländern. Reformbedarf ist für direkte Demokratie in Kommunen nicht zu erkennen. „Entwicklungsbedürftig ist jedoch die Kultur im Umgang mit der direkten Demokratie. Noch immer werden Initiativen, die ihr verbrieftes Bürgerrecht nutzen, als störend empfunden. Wünschenswert wäre dagegen eine stärkere Unterstützung durch kommunale Verwaltungen bei der Beantragung von Bürgerbegehren“, so Beck. Hierfür gibt es ermutigende Beispiele.

Zudem ist bisher wenig bekannt, welche Möglichkeiten die direkte Demokratie den Bürgerinnen und Bürger bietet. „Das Innenministerium, aber auch die Kommunalen Spitzenverbände sowie die Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch die Schulen gefragt, sind gefragt, über die Bürgerrechte offensiver zu informieren“, so Beck.

Stärkere Werbung verdienen auch die Einwohneranträge, die – weil sie von 14-Jährigen unterzeichnet werden können – ein gutes „Einstiegsinstrument“ für demokratische Teilhabe junger Menschen sind. Auch Ausländerinnen und Ausländer, die Einwohneranträge unter­zeichnen können, können sich damit artikulieren und so Erfahrungen mit dem demokra­tischen System des Freistaats machen.

Der Thüringer Bürgerbegehrens-Bericht bescheinigt dem Freistaat die lebendigste direktdemokratische Praxis unter den ostdeutschen Bundesländern. Waren es zwischen 2019 bis 2021 in Thüringen 23 gestartete Bürgerbegehren, gab es in derselben Zeit in Brandenburg 17 Verfahren, in Mecklenburg-Vorpommern 16, in Sachsen-Anhalt 13 und in Sachsen 21.

Die meisten Bürgerbegehren werden in Bayern gestartet. Hier gehen jährlich mehr als 100 Begehren an den Start. Im Saarland dagegen mitunter nur eines.

Bei Rückfragen: Ralf-Uwe Beck, 0172-7962982