Mehr Demokratie stellt Forderungen für stärkere Beteiligung der Bürger an finanziellen Entscheidungen vor

„Bürgern mehr zutrauen“

"Den Bürgerinnen und Bürger darf mehr zugetraut werden. Sie sind keine schlechteren Haushälter als die gewählten Volksvertreter, vielleicht sogar die besseren“, für diese Position wirbt der Verein Mehr Demokratie. Der Thüringer Landesverband hat am heutigen Donnerstag (21.7.) mit einer Pressekonferenz im Thüringer Landtag Forderungen präsentiert, die darauf zielen, die Bürgerinnen und Bürger im Freistaat stärker an finanziellen Angelegenheiten zu beteiligen.

Ganz oben auf der Agenda stehe die Abschaffung des Finanztabus für Volksbegehren. Bisher sei finanzwirksamen Volksbegehren durch den Satz im Artikel 82 der Thüringer Verfassung „Volksbegehren zum Landeshaushalt ... sind unzulässig“ ein Riegel vorgeschoben – so zumindest die Auffassung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs. „Es ist absurd, wenn uns Steuerzahlern eine Mitbestimmung bei der Verwendung der Steuergelder verweigert wird. Wer die Musik bezahlt, sollte auch mitbestimmen können, was gespielt wird. Das Finanztabu muss weg“, so Ralf-Uwe Beck, Sprecher von Mehr Demokratie in Thüringen. Die Forderung wird auch von dem 20 Organisationen starken Bündnis für Mehr Demokratie in Thüringen unterstützt. Das Bündnis hatte mit einem erfolgreichen Volksbegehren eine Reform der direkten Demokratie angestoßen. Seit 2003 sind Volksbegehren tatsächlich erleichtert.

„Der Finanzvorbehalt höhlt die Volksgesetzgebung aus. So wird sie zur verfassungsrechtlichen Farce, auch wenn Volksbegehren durch niedrigere Hürden leichter zugänglich sind“, argumentiert Prof. Joachim Linck, Mitglied im Mehr Demokratie-Landesvorstand und ehemaliger Landtagsdirektor. Er kritisiert in diesem Zusammenhang das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2001, wonach das Finanztabu zu den unveränderlichen Verfassungsgrundsätzen gehöre. „Das Urteil geht von dem irrigen Bild eines Bürgers aus, der sich Freibier beschließt, wenn er nur kann. Wir hoffen, dass bei der nächsten Gelegenheit das Verfassungsgericht das Finanztabu wieder dorthin hängt, wo es hingehört, zu den reformierbaren Regeln für das Zusammenspiel zwischen repräsentativer und direkter Demokratie.“

Mit einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden im Landtag hat Mehr Demokratie eine fraktionsübergreifende Initiative für die Streichung des Finanztabus angeregt.

Mehr Demokratie setzt sich auch dafür ein, in Thüringen das so genannte fakultative Referendum einzuführen. Danach würden vom Parlament verabschiedete Gesetze erst in Kraft treten, wenn nach einer definierten Frist kein Volksbegehren dagegen eingeleitet wurde. Diese Veto-Initiative sollte den Bürgern auch bei finanzwirksamen Entscheidungen des Landtages, beispielsweise über größere Investitionen, zugestanden werden. Das Instrument sei hauptsächlich aus der Schweiz und Italien, aber auch aus Hamburg und Rheinland-Pfalz bekannt. „Können Parlamentsentscheidungen direkt vom Volk revidiert werden, werden perspektivisch Anliegen der Bürgerinnen und Bürger stärker berücksichtigt“, so Linck.

Auf kommunaler Ebene konnten nach Ansicht von Mehr Demokratie die meisten Hürden für eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger mit dem Volksbegehren aus dem Jahr 2008 abgebaut werden. Nun sollten, was bisher verstellt ist, auch Bürgerbegehren zur Beteiligung der Gemeinde an Unternehmen möglich sein. „Die Bürger sollen insbesondere dann mitentscheiden können, wenn die Wasser- oder Energieversorgung, kommunale Wohnungen oder Verkehrsbetriebe privatisiert werden sollen“, so Beck. „Die Bürger können mit ihrem Votum dafür sorgen, dass soziale Grundbedürfnisse bei Privatisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge gegenüber gewinnorientierten Aspekten stärker berücksichtigt werden.“

Ausdrücklich empfohlen werden von Mehr Demokratie die Bürgerhaushalte. Hier gebe es in Thüringen mittlerweile modellhafte Prozesse, an denen sich andere Gemeinden orientieren könnten. Als Beispiele nannte der Verein die Bürgerhaushalte in Großbreitenbach und Jena. „Bürgerhaushalte sind eine gute Möglichkeit sind, die Menschen für das Gemeinwesen zu interessieren und zu Entscheidungen zu finden, die von einer großen Zahl von Bürgern getragen werden“, ist sich Beck sicher. Für die Bürgerhaushalte sollte das Land verbindliche Eckpunkte festlegen, die Ausgestaltung im Detail aber den Kommunen überlassen. Geregelt werden könnte, auf welche Weise die Bürgerschaft über den Bürgerhaushalt, die Umfrageergebnisse und die Gemeinderatsbeschlüsse informiert werden soll.

Denkbar ist für Mehr Demokratie auch ein Bürgerhaushalt auf Landesebene, mindestens aber eine Bürgerbeteiligung bei Großprojekten. Da Befragungen auf Landesebene möglicherweise einer verfassungsrechtlichen Regelung bedürfen, sollten in Pilotverfahren Bürgerbefragungen zu finanzintensiven Projekten des Freistaates zunächst getestet werden.

Hinweis für die Redaktionen:
Ein 6-seitiges Papier des Mehr Demokratie-Landesvorstandes zu dem Thema „Mehr Bürgerbeteiligung zu Haushalts- und Finanzfragen auf der Ebene der Kommunen und des Landes im Freistaat Thüringen“ steht <link internal-link internal link in current>hier zum Download bereit.

Bei Rückfragen:
Ralf-Uwe Beck, 0172-7962982
Prof. Dr. Joachim Linck, 0162-2900451

Ansprechpartner für Redaktionen

Ralf-Uwe Beck
Vorstandssprecher
Mehr Demokratie in Thüringen
0172-7962982

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