Das Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringer Kommunen" im Jahr 2008
In Sachen direkter Demokratie auf kommunaler Ebene war Thüringen lange Schlusslicht unter den Bundesländern. Um Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu erleichtern, organisierte das Thüringer Mehr Demokratie-Bündnis 2008 ein Volksbegehren. Vom 20. März bis 19. Juli lief die Unterschriftensammlung, am 4. August 2008 konnten 250.982 Unterschriften an die Behörden übergeben werden - 55.000 mehr als notwendig.
Am 3. April 2009 hat der Landtag dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens "Mehr Demokratie in Thüringer Kommunen" zugestimmt und seit 7. Mai 2009 sind die neuen Regeln in Kraft. Beim Volksentscheids-Ranking 2010, in dem Mehr Demokratie die Regeln für direkte Demokratie in den Bundesländern vergleicht, konnte Thüringen so vom Schlusslicht auf Platz 4 vorrücken.
Die Hürden sind gesenkt
Entsprechend den Vorschlägen des Volksbegehrens wurden die Hürden bei Bürgerbegehren deutlich gesenkt und die direktdemokratischen Möglichkeiten erweitert. So sind nun auch auf Landkreisebene Bürgerbegehren möglich und aus dem bisherigen Bürgerantrag wurde ein Einwohnerantrag, für den höchstens 300 Unterschriften erforderlich sind.
Bei den Bürgerbegehren ist die Liste von Themen, die nicht zulässig sind, deutlich reduziert worden. Der Zwang zum Kostendeckungsvorschlag wurde entfernt. Für ein Bürgerbegehren in freier Sammlung müssen nun sieben Prozent der Stimmberechtigten unterschreiben, maximal 7.000. Auch gilt die freie Unterschriftensammlung wieder. Diese war von der CDU im Oktober 2008 abgeschafft worden.
CDU behindert Volksgesetzgebung
Schon im Jahr 2005 hatte das Mehr Demokratie-Bündnis gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen im Landtag versucht, die Bürgerbegehren mit einer parlamentarischen Initiative zu reformieren. Aber der Gesetzentwurf scheiterte an der CDU-Mehrheit im Landtag. Die CDU sah keinerlei Änderungsbedarf in Sachen direkter Demokratie. Alles sei bestens. Um faire Bürgerbegehren zu erreichen, blieb nur das Volksbegehren. Nachdem die Unterschriftensammlung vier Wochen lief, gab es bei der Regierungspartei einen plötzlichen Sinneswandel. Die CDU wollte nun eine eigene Reform der Bürgerbegehren durchsetzen. Mit einer kurzerhand und mit heißer Nadel gestrickten Änderung der Kommunalordnung senkte sie die Unterschriftenhürden und kürzte die Liste der Themenausschlüsse. Diesen Schritt nach vorn verband die CDU jedoch mit einem Siebenmeilen-Schritt zurück: Der Einführung der Amtseintragung. Das Bündnis für Mehr Demokratie in Thüringen kritisierte die Zumutung, den Bürger für eine Unterschrift unter ein Bürgerbegehren auf's Rathaus zu zwingen: Damit hat die CDU die Hürden für Mitbestimmung mitnichten gesenkt, sondern erhöht. Thüringen wurde damit das einzige Land weltweit, in dem für die direkte Demokratie in den Kommunen die Amtseintragung vorgeschrieben ist.
Das Bündnis für Mehr Demokratie hatte von der regierenden CDU erwartet, dass sie aus Respekt gegenüber dem Volksbegehren die Verabschiedung ihres Gesetzes zurückstellen würde. So hätte die CDU den eigenen Gesetzentwurf als Alternativvorschlag in einem Volksentscheid mit zur Abstimmung stellen können. Diesen Weg sieht die Verfassung vor. Stattdessen beschloss die CDU am 8. Oktober 2008 ihr "Gesetz zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements". Ein solches Vorgehen ist nicht geeignet, das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zu stärken. Zu Beginn des von ihr ausgerufenen Jahres der Demokratie 2009 richtete die CDU einen demokratischen Flurschaden an.
Verhandlungen für Weg aus dem Dilemma
Nur zwei Tage, nachdem das eilig verabschiedete Gesetz der CDU den Landtag passiert hatte, am 10. Oktober 2008, begann Landtagspräsidentin Schipanski mit der Prüfung der Unterschriftsbögen für das Volksbegehren. Zwei Wochen später, am 23. Oktober, erklärte sie das Volksbegehren für "zustande gekommen". Damit begann am 23. Oktober die sechsmonatige Frist, in der der Gesetzentwurf des Volksbegehrens im Landtag verhandelt werden muss. Am 14. November 2008 fand die erste Lesung im Plenum statt. Dort wurde der Gesetzentwurf in den Innen- und den Justizausschuss überwiesen. Im Innenausschuss fand am 13. Februar 2009 eine öffentliche Anhörung statt. Einhellig wiesen die geladenen Experten darauf hin, dass das Vorgehen der CDU das Verfahren chaotisiert hat: Nähme der Landtag das Volksbegehren an, entstünde eine in sich widersprüchliche Kommunalordnung, lehnte er es ab, käme es zu einem enthöhlten Volksentscheid, bei dem über die Amtseintragung nicht abgestimmt werden könne.
Um dieses Dilemma zu lösen, begannen die drei Landtagsfraktionen und das Bündnis für Mehr Demokratie mit Verhandlungen. Schließlich einigte man sich kurz vor dem Ende der sechsmonatigen Frist, in der der Landtag das Volksbegehren abschließend behandeln muss.
Volksbegehren wird Gesetz
Am 3. April 2009 stimmte der Landtag in einer Sondersitzung mit großer Mehrheit für den Gesetzentwurf des Volksbegehrens "Mehr Demokratie in Thüringer Kommunen". Geichzeitig wurde ein Begleitgesetz verabschiedet, dass die Sammlungsarten regelt. Damit wurden die entstehenden Widersprüche in der Kommunalordnung beseitigt: Initiativen, die ein Bürgerbegehren planen, können nun wählen zwischen freier Sammlung und Amtseintragung. Die neue Kommunalordnung trat mit der amtlichen Bekanntmachung am 7. Mai 2009 in Kraft. Damit sind die 250.982 Unterzeichner des Volksbegehrens am Ziel: Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind im Freistaat Thüringen bürgerfreundlich geregelt.
Demokratie-Spirale
Ergebnisse nach Kreisen, kreisfreien Städten und Gemeinden
Eine genaue Auflistung, wie viele Unterschriften in den einzelnen Thüringer Gemeinden, kreisfreien Städten und Kreisen gesammelt wurden, können Sie sich hier als PDF herunterladen:
Radiobeitrag
Der OMNIBUS für direkte Demokratie unterstützte die Unterschriftensammlung. Werner Küppers, Fahrer des weißen Doppelstockbus, berichtet im Juli 2008 in einem Radiobeitrag über das Volks-begehren und die Fahrt durch Thüringen.
MP3 hier anhören (1,75 MB)